Ein Bericht von Anja Zügner
Visit Nepal! – mit diesem auffordernden Slogan wirbt der kleine Himalaja-Staat Nepal für das offizielle Tourism Year 2011. Nach den vielen Jahren des Bürgerkrieges von 1996 bis 2006 und dem Wechsel von der Monarchie zur Parlamentarischen Demokratie wurde im Jahr 2008 der erste Präsidenten der Republik Nepals gewählt. Da das Land durch Übergriffe maoistischer Rebellen und häufige Ausgangssperren in dieser schwierigen Zeit sehr unter den schwindenden Besucherzahlen gelitten hat, will es mit dieser Kampagne deutlich zeigen, dass es für Kultur- und Trekkingtouristen wieder an Attraktivität gewonnen hat und jene vermehrt ins Land locken.
Diese offizielle Einladung wäre jedoch für unsere kleine Reisegruppe nicht nötig gewesen. Der Wunsch das kleine Land zu besuchen, das zwischen Indien und Tibet liegt und eine Gesamtgröße von etwa einem Fünftel Deutschlands hat, die überwältigende Landschaft und Natur, die kulturelle Vielfalt und vor allem die Projektgebiete von HTC mit eigenen Augen zu sehen, Menschen zu treffen und v.a. mein Versprechen gegenüber Bharat Rana einzulösen, eines Tages nach Nepal zu kommen, waren Antrieb genug. Viele Berichte von Nepal-Reisenden zu lesen, Fotos zu sehen und Anekdoten zu hören war überaus interessant, doch all die Namen und Orte sollten real werden. Der Entschluss stand: Der Oktober 2011 wird im Zeichen der ersten Nepal-Reise stehen. Mit den beiden Freunden, Renate Eichenlaub und Christian Wachtmeister, die beide mit dem um sich greifenden Nepal-Virus angesteckt wurden, und etwa 30 Paten-Briefen an die HTC-Kinder wurde Ende September die Reise angetreten. Gerade rechtzeitig, um das Ende des Monsuns in der 1300 m hoch gelegenen Hauptstadt Kathmandu mitzuerleben. Die Wolken, die beim Landeanflug über dem Kathmandu-Tal schwebten, hielten auf unserer Fahrt zum Hotel während der Rushhour was sie versprachen. Mitten im Verkehrschaos und niederprasselndem Regen, während die Sonne rasch unterging, ließen wir die ersten Eindrücke dieses fremden Landes mit stillem Staunen auf uns einströmen.
Angekommen im Hotel in Kathmandu-Thamel freuten wir uns sehr von Bharat und Govinda, der unser beinahe ständiger Begleiter werden sollte, empfangen zu werden. Glücklich, endlich in Nepal zu sein, nahmen wir die Einladung am kommenden Tag zu einem Mittagessen in Miras und Bharats Haus sehr gerne an. Dass seit dem letzten Treffen in Deutschland beim 10jährigen Jubiläum von HTC bereits eineinhalb Jahre vergangen waren, wurde durch den offenen und ungezwungenen Umgang schnell vergessen. Bei einem vorzüglichen und vielfältigen Dal-Bhat wurden wir in einem nepalesischen Haushalt, dessen Kontakte nach Europa und Amerika anhand von zahlreichen Gastgeschenken und Souvenirs unverkennbar war, überaus herzlich begrüßt. Nach vielen Gesprächen, reich an interessanten Themen wie nepalesischen Sitten, Gebräuchen, Küche und vielem mehr, sowie einer Führung durch den Garten, die Freude der Hausherrin, fuhren wir gemeinsam mit unseren Gastgebern zur Swayambunath-Stupa, von welcher man einen wunderbaren Blick über Kathmandu hat. Am Steuer des Autos: „The best female driver in town“ – so Bharat mit stolzem Unterton über seine emanzipierte Frau Mira.
Zurück im Hotel hieß es die letzten Vorbereitungen für die zwölftägige Trekkingtour im Langtang National Park zu treffen. Am nächsten Morgen wurden wir mit Bharats Geländewagen, einem Fahrer und Govinda abgeholt. Auf Grund des 15tägigen Dashain-Festes, dem höchsten hinduistischem Fest im Jahr, waren die Busse mit nepalesischen Reisenden, die das Fest bei Verwandten feiern wollten, überaus voll, so dass wir dem Vorschlag Bharats gerne nachkamen, sein Auto benützen zu dürfen. Dem unglaublichen Abgas-Gestank der Straßen Kathmandus und dem hektischen Trubel entkommen, ging die Fahrt in Richtung Nord-West mit dem Ziel: Betrawati. Durchgeschüttelt von den holprigen Straßen, die unter den starken Monsunregen sehr gelitten haben, erreichten wir den Ursprungsort des Vereins und genossen den Spaziergang durch den Ort, entlang der Reisfelder und des reißenden Trisuli-Flusses. Zu dessen Ursprung sollten wir nach etwa einer Woche in Gosainkunda gelangen. Als wir auf eine Strassenbaustelle und eine eben errichtete große Brücke über den heiligen Fluss stießen, wurde uns berichtet, dass die Chinesen gerade dabei wären auf dieser Verkehrsroute die Straßenverbindung nach China auszubauen. An das Schicksal Tibets und die enormen Macht Chinas denkend, nahmen wir diese Nachricht mit sehr gemischten Gefühlen entgegen.
In Betrawati durften wir im Haus von Govindas Mutter Lila zu Gast sein, die für HTC dort seit vielen Jahren tätig ist. Im Nu füllte sich die Veranda des Hauses mit Familienmitgliedern, benachbarten Kindern und Erwachsenen, die sicher auch aus Neugierde kamen, aber auch um sich zu unterhalten, zu spielen oder um einfach nur dabei zu sein. Nach einem leckeren Abendessen mit Dal-Bhat klang dieser ereignisreiche Tag mit vielen nepalesischen Liedern, denen wir lauschen durften, aus und auch wir steuerten das eine und andere Volkslied bei.
In einem kleinen Auto-Konvoi ging es am nächsten Tag weiter nordwestlich nach Ramche, wo ein Erdrutsch ein Weiterkommen mit dem Auto unmöglich machte und uns zwang, unsere Trekkingtour einen Tag früher zu beginnen. Verabschiedet von Bharat und Govindas Familie brachen wir nun mit unseren beiden nepalesischen Begleitern Govinda und dessen ortskundigen und trekkingerfahrenen Onkel Shiva zu einer beeindruckenden Wanderung ins Langtang, nach Gosainkunda und ins Helambu auf. Bei bestem Wetter und kurz vor Beginn der Hauptsaison lernten wir mit Hilfe unserer nepalesischen Freunde eine landschaftlich atemberaubende Seite Nepals kennen und durch sie wurde unser Bild von Nepal gewaltig bereichert.
Nach zwölf Tagen Fußmarsch, unzähligen Kilometern, dem ersten Mal auf 5000 ü.NN., Temperaturen von unter 0 bis tropischen 35°C und teils eiskalten Nächten in zugigen Lodges kehrten wir in die Zivilisation zurück. In Nagarkot angekommen lernten wir die Vorzüge einer Nacht im Hotel bei einer warmen Dusche und kontinentalem Frühstück wieder wohl zu schätzen und ließen uns den Sonnenaufgang mit Himalajablick vom Tower von Nagarkot aus nicht entgehen. Erfrischt und gestärkt stand uns nun ein weiteres Highlight unserer Reise bevor: Naldum, das derzeitige Hauptprojektgebiet von HTC. Malerisch liegt dieses Tal mit seinen Reisfeldern, Bananenhainen, vereinzelten Häusergruppen und dem Himalaja im Hintergrund vor uns. Nach etwa einer Stunde zu Fuß unterwegs erwarteten uns Bharat und seine Helfer, die bereits damit beschäftigt waren an die wartenden Kinder neue Schulmaterialen, Gelder für Arzt- und Arzneimittelrechnungen, sowie Briefe der Pateneltern zu verteilen. Mit großer Genauigkeit wurde über die verteilten Gelder Buch geführt und wir waren erstaunt, mit welcher Ruhe und Disziplin die Kinder geduldig ausharrten, bis ihr Name aufgerufen wurde. Bei der Entgegennahme der Schulutensilien und Briefe wirkten sie noch etwas verschüchtert, danach jedoch wurden die Briefe, die Fotos der Pateneltern und die teils kleinen Geschenke aus Deutschland freudig ausgepackt und von den Freunden neugierig betrachtet.
Wir genossen diesen entspannten Nachmittag in der ‚Villa Kunterbunt‘ unter der großen Kinderschar sehr, durften einen Blick in die im Haus befindliche Krankenstation werfen und waren auf den angekündigten Spaziergang mit Bharat in ein paar benachbarte Weiler sehr gespannt. Auf schmalen Pfaden entlang der Reisterrassen ging der kleine Ausflug erst zur nächsten Häusergruppe, wo wir die Funktionsweise einer von HTC finanzierten Biogas-Anlage erklärt bekamen.
Wir waren beeindruckt, mit welch geringem Aufwand und wie nachhaltig die Form der Energiegewinnung für diese Familie war. Verglichen mit den herkömmlichen offenen Feuerstellen, bei denen Holz und Kuhdung verwendet wird, war von Ruß im Koch- und Wohnbereich wenig zu merken, was auf die Gesundheit der Atemwege große positive Auswirkungen hat. Dass diese Familie die Unterstützung zum Bau einer Biogasanlage erhalten hat, ist u.a. ihrem Besitz von einem Wasserbüffel zuzuschreiben, den sie, wie beinahe alle Bauern in Naldum, aus Mangel an einem separaten Stall in der Nacht im Wohnbereich des Hauses unterbringt. Sehr befremdlich und konträr fanden wir auf den ersten Blick, dass auch in diesem Haushalt ein Mobiltelefon benutzt wurde. Später sahen wir, dass, wie in Deutschland, das Benutzen von Handys weit verbreitet ist. Betrachtet man jedoch die Tatsache, dass das Telefonnetz in Nepal so gut wie kaum ausgebaut ist, das Errichten von Mobilfunkmasten jedoch wesentlich leichter ist, so liegt ihr Gebrauch sehr nahe. Zumal die Tarife im Vergleich zu denen in Deutschland weitaus geringer sind und dadurch der telefonische Kontakt per Handy als Lösung sehr schlüssig ist.
Wie in eine andere, längst vergangene Zeit versetzt, ließen wir uns durch das mit Lehm und Stroh gebaute Haus führen. Im Erdgeschoss also der Koch- und Wohnbereich, in dem auch nachts die Büffel, Ziegen und andere Haustiere unterkommen, im ersten Stock die kleinen Schlafzimmer und im zweiten Stock befindet sich das Lager für Mais, Reis und weitere Lebensmittel. Davon, dass diese schon einfache Lebensweise unterboten werden kann, wurde uns in den nächsten Häusern, die wir besuchten, deutlich. In einer kleinen Siedlung in denen nur Mitglieder der Kaste der Unberührbaren wohnen, dem letzten Glied in der sozialen Hierarchie, stießen wir auch auf Spuren des Erdbebens vom 18. September 2011. Da das Epizentrum nahe der nepalesischen Grenze im indischen Bundesstaat Sikkim war und das Beben eine Stärke von 6,9 hatte, waren auch in Nepal viele Gegenden schwer betroffen und etwa sieben Menschen kamen dabei ums Leben. Am 13. November sollte ein weiteres Erbeben von fünf Punkten auf der Richter Skala mit dem Epizentrum in Gorka/Nepal folgen. In einem der Häuser sahen wir nun deutliche Risse im äußeren Mauerwerk, das wohl einem zweiten Beben nicht Stand halten wird, falls nicht die nötigen finanziellen Mittel aufgebracht würden um es zu reparieren. Bei Katastrophen, wie Erdbeben und starken Monsunregen, die ganze Häuser zum Einstürzen bringen, wenn die Feuchtigkeit wegen Dachmängel die lehmhaltigen Mauern durchweicht, gibt es für die Bewohner Nepals keine von staatlicher Seite. In all der großen Armut und Mittellosigkeit wurde uns hier deutlich, welche große Verantwortung soziale Initiativen wie HTC haben, die sich als Ziel gesetzt haben, Menschen, die nicht das Glück hatten in eine finanziell und sozial abgesicherte Gesellschaft geboren worden zu sein, Soforthilfe, Entwicklungsmöglichkeiten und Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten. Welch großen Effekt der gezielte Einsatz der Spendengelder, die sorgfältige Planung und Durchführung und der unermüdliche Einsatz der aktiven Mitglieder HTCs, Bharats und seiner Helfer haben, davon waren wir bereits nach unserem ersten Tag in Naldum wahrlich beeindruckt.
Am kommenden Tag, während Bharat noch damit beschäftigt war weitere Schulmaterialen an die Patenkinder zu verteilen, machten wir in Begleitung eines jungen Lehrers, der bei HTC beschäftigt ist, einen Ausflug in die nächstgelegene von HTC geförderte Schule. Auf dem Weg dorthin waren wir erstaunt, was in der Region von Naldum, unterstützt durch organisierte Landwirtschaftstrainings, auf den Feldern angebaut wird. Vorbildlich angelegte Kartoffelfelder zwischen Reis- und Hirsefeldern, Ingwer, Zitrusfrüchte und sogar Kaffeesträucher waren zu sehen.
In der Schule angekommen durften wir in einigen Klassen den Unterricht in Englisch, Singen und Mathematik, sowie eine Vorschulklasse besuchen. Zwischen den Schülern sitzend verfolgten wir den Unterricht hautnah und verfielen bei der ein oder anderen komplizierten Rechenaufgabe selbst ins Grübeln. In dieser Schule fanden wir bereits eine gute Ausstattung an Tafeln, Charts und Schulbänken vor und freuten uns zu sehen, dass es für die Kinder der Gegend in Zukunft möglich sein wird, durch einen Neubau auch höhere Klassenstufen in dieser Schule zu besuchen.
Der Abschied aus Naldum fiel uns am nächsten Tag sehr schwer, da wir dort zwei wunderbare Tage in Bharats Haus in Gesellschaft von vielen Kindern und deren Familien verbringen durften. Die Abende am Lagerfeuer mit Tanzen und Singen liessen die sprachliche Barriere schnell vergessen und die gesammelten Eindrücke waren so prägend, dass sie uns sehr lange in bester Erinnerung sein werden.
Zurück in Kathmandu waren wir erstaunt über die Menge an Touristen, die zur bereits laufenden Hauptsaison nach Nepal gereist waren. Auch wir reihten uns unter sie ein und besichtigten in unseren letzten Tagen Bhaktapur, Kathmandus Durbar Square, Pashupatinath und zuletzt die Bodnath-Stupa. Den Abschluss und kulinarischen Höhepunkt bildete jedoch am Tag vor der Abreise ein geselliges Abendessen im Haus von Govindas Schwester Apo. Von ihrer Mutter Lila und ihr bekamen wir einen nepalesischen Kochkurs in der Zubereitung von Dal-Bhat, der teilweise wegen Stromausfalls im Kerzenschein statt fand, und bei dem alle ihren großen Spaß hatten. Wer sich an der nepalesischen Küche versuchen möchte, dem sind die Rezepte auf der Homepage von HTC wärmstens empfohlen!
Mit großer Wehmut hieß es am nächsten Tag mit vielen Erlebnissen und wunderbaren Erinnerungen im Gepäck die Heimreise anzutreten. Für uns drei war es eine der beeindruckendsten Reisen, die wir bisher unternommen haben, da wir durch die zahlreichen persönlichen Kontakte und Begegnungen diesem Land und seinen Bewohnern sehr nah sein durften. Wir sind sehr dankbar mit Hilfe von Bharat, Govinda, Shiva und all der Menschen, die wir auf unserer Reise getroffen haben, die unglaubliche Vielfalt Nepals kennen zu lernen und eine über alle Maßen große Gastfreundschaft und Herzlichkeit erfahren zu haben.
Visit Nepal!- wir kommen sicherlich wieder.
Und hier finden Sie das Dal-Bhat-Rezept, das nepalesische „Nationalgericht“: Dal_Bhat_Rezept