Bericht von Gerhard Birngruber
Angeregt durch die Erfahrungsberichte von Mitgliedern des HTC, in mir der Entschluss heran doch selbst nach Nepal zu reisen, um mein Patenkind, Chini Maya Tamang, einmal persönlich zu besuchen. Bei dieser Gelegenheit wollte ich zugleich Projekte besichtigen, die mit Hilfe von HTC gefördert wurden. Anschließend stand noch eine Trekkingtour im Annapurnagebiet auf dem Programm, sowie der Besuch mancher Sehenswürdigkeiten im Land des höchsten Berges der Welt.
Freunde und Verwandte reagierten leicht erschrocken, als ich ihnen von meinem Reiseziel erzählte. Für viele von ihnen liegt Nepal irgendwo weit weg und sie verbanden dieses Land mit Rückständigkeit, Armut und Revolution. Es galt viele Vorurteile abzubauen und gut gemeinte Ratschläge in den Wind zu schlagen. Zwischenzeitlich besorgte ich mir einige Bücher über Nepal, um mich schon etwas auf Land und Leute einzustellen. Am 19. Oktober war es endlich soweit. Mein Sohn Daniel und ich flogen nach Kathmandu.
Bharat hatte freundlicherweise die erste Woche unseres Aufenthalts in Nepal bestens organisiert. Nach Ankunft am Flughafen Kathmandu wartete bereits ein Bekannter Bharat’s mit seinem Auto auf uns, um uns in ein bereits gebuchtes Hotel nach Thamel zu fahren.
Kathmandu zeigte sich zuerst von seiner schlechtesten Seite. Auf kaputten und zumeist engen Straßen versuchen unzählige Autofahrer sich mit ständigen Hupen freie Fahrt zu verschaffen. Nicht minder leise sind die Rikscha-, Moped-, und Radfahrer mit ihren lauten Tröten unterwegs. Die im Verkehr rechtlosen Fußgänger so scheint es, sind der permanenten Gefahr ausgesetzt, angefahren zu werden. Die durch den Verkehr verursachte Luftverschmutzung ist derart hoch, dass viele Menschen nur noch mit Tüchern vor Mund und Nase ins Freie gehen. Schmutz und Gestank waren ebenfalls ständige Begleiter in den Straßen der Hauptstadt. Aufgefallen ist mir noch das unbeschreibliche Elend der Kinder in den Straßen Kathmandu’s. Sie betteln einen bei jeder Gelegenheit an und es fällt einem nicht leicht achtlos vorbei zu gehen und nichts zu geben.
Noch am Ankunftstag lernten wir Bharat und seine charmante Ehefrau Mira kennen und besprachen das geplante Besuchsprogramm für die nächsten Tage. Wir wollten zunächst für ein paar Tage in Kathmandu bleiben, uns zu akklimatisieren und die ein oder andere Sehenswürdigkeit anschauen. Außerdem musste ich noch zur Deutschen Botschaft, damit ich meine Schulden bei einem Beschäftigten begleichen konnte. Hatte doch dieser im letzten Jahr ein Paket für mein Patenkind freundlicherweise entgegengenommen und Auslagen von 20 Rupien angemahnt. Selten sah ich ein verdutzteres Gesicht, als ich persönlich vor ihm stand und ihm die 20 Rupien in die Hand drücken wollte. Es sei noch angemerkt, dass er meine Reisekasse nicht schmälern wollte und großzügig auf die 20 Rupien verzichtete.
Eine weitere nette Geste wurde uns von Bharat und seiner Frau zuteil. Sie luden uns für den nächsten Tag zu sich nach Hause zum Abendessen ein. Mein geistiges Auge sah schon gekochten Ziegenkopf und gebratenes Hammelfleisch auf einem Teller voll Reis serviert.
„I am vegetarian!“ Bharat schaute mich ungläubig an, aber nach einer kurzen Erklärung, warum und wieso ich Vegetarier geworden bin, glaubte er mir. Ich rief mir noch kurz die Anstandsregeln in Erinnerung, die bei einer Einladung in Nepal gelten: Beim Betreten der Wohnung Schuhe ausziehen. Das mitgebrachte Geschenk für die Hausherrin wird entgegengenommen und unbeachtet weggelegt. Also nicht beleidigt sein. Nach dem Essen ist die Einladung beendet und man sollte unaufgefordert aufstehen und sich verabschieden. Die letzte angeführte Regel traf bei unseren Gastgebern nicht zu. Da wir bei einer Hindufamilie eingeladen sind, darf man keinesfalls deren Essen, Teller oder Besteck berühren. Es wäre damit unrein geworden. Also immer schön aufpassen.
Vor dem Essen zeigte Bharat uns sein professionell eingerichtetes Büro. Von hier aus verwaltet er die umfangreichen Projekte von HTC. Die Einrichtung und die Anzahl der Ordner lässt auf eine „mittlere Managementebene“ schließen. Man muss Bharat ein großes Kompliment aussprechen, dass er sich so in das Projekt einbringt.
Es wurde die Nationalspeise Daal Bhaat (Linsen und Reis) serviert. Dieses „einfache“ Essen wurde mit Beigaben, wie Kartoffeln, Blumenkohl und Brokkoli ergänzt. Es schmeckte vorzüglich und wir ließen uns mehrmals einen Nachschlag geben. Bharats Ehefrau erzählte uns währenddessen von ihrer Familie und zeigte noch Bilder von der Hochzeit ihres Sohnes. Ein kurzweiliger Abend ging zu Ende und wir waren in spannender Erwartung der nächsten Tage.
Bei sommerlichen Temperaturen ging es am nächsten Tag mit dem Auto in Richtung Naldum. Die Straße war einigermaßen befahrbar und so erreichten wir nach ca. 2 Stunden und ca. 50 km das Ende der Straße. Von hier aus ging es nur noch zu Fuß weiter. Eine Fahrtunterbrechung nutzte ich, um für mein Patenkind und deren Familie noch Geschenke einzukaufen. Bharat stand mir mit Rat und Tat beiseite und wusste am besten was die Menschen in dieser Gegend am meisten benötigten. Er hatte auch noch die jeweiligen Kleidergrößen der Familienmitglieder parat. Perfekt.
Die schmalen Pfade verlaufen entweder bergauf oder bergab; selten, dass der Weg mal eben dahin läuft. Eine gewisse Grundkondition ist daher unabdingbar. Trittsicher kommen uns Frauen mit ihren „Klapperl“ entgegen, sie tragen mit einer speziellen Technik schwere Lasten, wie z.B. Viehfutter, auf ihren Rücken. Freundlich antworten sie auf den traditionellen Gruß Namaste..
Auf dem Weg zu Chini Maya’s Dorf Gairigaun kamen wir an einigen der geförderten Projekte vorbei und Bharat informierte uns über den Aufbau und Nutzen dieser Einrichtungen.
Nach einem mehrstündigen Fußmarsch kam das Dorf von Chini Maya in Sichtweite. Es liegt lieblich eingebunden in einer sanft geschwungenen Hügellandschaft. Ich war überrascht von der Sauberkeit des Ortes und den schön erdfarbenen gestrichenen Häuser.
Die Familie wartete bereits vollzählig versammelt vor ihrem Haus auf uns. Das obligatorische Begrüßungszeremoniell, die älteren Leute zuerst, verhalf zunächst einmal die ersten Berührungsängste abzubauen. Nach Auspacken und Verteilung der mitgebrachten Geschenke, war das Eis letztendlich schon geschmolzen.
Bharat fungierte als Dolmetscher und so konnten die wissbegierigen Frage beantwortet werden. Eine Frage schien für alle von großer Wichtigkeit zu sein: Warum mein Sohn Daniel einen Nasensticker hat? Dieser Nasensticker hat bei den Mädchen in Nepal allgemein Ver- (Be-)wunderung und Neugier ausgelöst.
Da Chini Mayas Mutter auch einen Nasensticker trägt, hatten beide gleich ein „Gesprächsthema.“ Chini Maya zeigte mir die Bilder, welche ich ihr von meiner Heimat geschickt habe. Das ihr Bild in meinem Wohnzimmer neben anderen Familienbildern einen Platz gefunden hat, erfüllt sie mit sichtlichem Stolz. Bevor Bharat zum Aufbruch mahnte, wir hatten ja noch einige Kilometer zu Bharat’s Projektgebiet-Haus zu gehen, wurden wir von der Hausherrin eingeladen ihr Haus zu besichtigen. Diesen Wunsch durften wir ihr nicht abschlagen.
Der große Raum im Erdgeschoss ist Wohnzimmer, Schlafzimmer der Eltern, Küche und Stall für Vieh zugleich. Gekocht wird auf einer offenen Feuerstelle ohne Rauchabzug. Im 1. Obergeschoss sind die Räume für die Kinder eingerichtet und im Dachgeschoss werden die Erntevorräte für den Winter eingelagert.
Neben den gesundheitlichen Risiken, die durch den Nichtabzug des Rauches innerhalb des Hauses entstehen sind auch die hygienischen Bedingungen, im Haus gab es keinen Wasseranschluss, für eine gesunde körperliche Entwicklung nicht gerade als optimal zu bezeichnen.
Deshalb ist es unbedingt notwendig, Biogasanlagen zu fördern und wo immer es finanziell machbar ist, sollte man diesen geringen Kostenbeitrag zu leisten, damit eine Familie mit Kindern ohne Gesundheitsgefährdung im eigenen Haus leben kann. Des Weiteren würde das Abholzen des Waldes eingeschränkt und der entstehende Dünger nach Vergärung der Fäkalien im Fermenter, wäre ein kostenloser, hervorragender Dünger für die Landwirtschaft. Frau Jacobi brachte es auf den Punkt als sie sinngemäß sagte: “Die Biogasanlagen sind eine große Erfolgsgeschichte des Vereins!“ Lassen Sie uns diese Geschichte weiterentwickeln.
Die Einladung zum Essen bei Chini Maya mussten wir ausschlagen. Das war zwar unhöflich, aber sogar Bharat warnte vor der Einnahme der Mahlzeit (unserer Gesundheit wegen). So wurden wir mit einem hochprozentigem Schnaps verabschiedet.
Schnell sprach sich unser Besuch im kleinen Dorf herum und schon waren vermutlich alle Kinder des Dorfes im Hof von Chini Maya’s Elternhaus zugegen. Ich hatte gottlob für jedes Kind noch eine Kleinigkeit in meinem Rucksack dabei.
Die Zeit verging wie im Flug und ich bedauerte nicht länger geblieben zu sein; bei meinem nächsten Aufenthalt in Nepal werde ich mir auf jeden Fall mehr Zeit für mein Patenkind nehmen.
Nach dem Verlassen von Gairigaun gab ich Bharat noch den Namen eines Mädchens und deren Adresse. Ich wurde von einer Bekannten gebeten, falls es mir möglich sei, ihr Patenkind Shyangbo Mina zu besuchen, ihr herzliche Grüße zu überbringen und der Familie ein Geschenk in ihrem Namen zu machen. Wir trafen Mina im Kreis ihrer großen Familie an und ganz unverhofft war da jemand zu Besuch aus Deutschland gekommen und brachte auch noch ein Geschenk von der Patenmutter Heidi mitgebracht. Diese Überraschung war gelungen.
Der Besuch bei meinem Patenkind bleibt ein unvergessenes Erlebnis und bestärkt mich in meiner Einstellung, dass ein jeder Mensch seinen Beitrag zu einer besseren Welt leisten kann.
Es noch so vieles zu berichten. Ich denke an unseren Begleiter Sano-Gassi (er rettete mich vor einem Absturz), an Novinda und dessen nette Familie (er zeigte uns viel über Land und Leute), an unsere Köchin und deren Familie, an die netten Menschen, die einen unvergessenen Abschlussabend vor unserer Abreise organisierten und an den überaus herzlichen Abschied am nächsten Morgen mit Blumen.
Besonderen Dank auch an Bharat. In seiner ruhigen und besonnenen Art, verhilft er dem Verein zu seinem Erfolg vor Ort. Er ist anerkannt und kompetent und wenn es notwendig ist, krempelt er selbst die Ärmel hoch und repariert eine lecke Wasserrohrleitung.
Namaste, Gerhard Birngruber