Ein Bericht von Carola Boneff-Li
Die Nepalreise im Oktober 2012 war, seit 1994, meine 5. Nepalreise. Dieses Land lässt mich nicht so einfach los. Zum einen ist da der Drang, auf immer höhere Berge zu steigen, zum anderen faszinieren die phantastische Landschaft, sehr interessante Kulturen (Hinduismus, Buddhismus) und die wunderbaren Menschen. Diese Kombination lässt mich immer wiederkommen! So habe ich letztes Jahr beschlossen, eine Patenschaft in Nepal zu übernehmen. Meine Eltern haben schon vor mehreren Jahren Patenschaften. Über diese habe ich 2010 Bharat Krishna Rana und das Patenkind meiner Mutter, Yenisa, das erste mal getroffen. Yenisa hatte damals eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen. Nun macht sie bald ihren Abschluss und wird danach ihr eigenes gutes Geld verdienen – und damit ihre Mutter unterstützen, die, ohne Ausbildung und alleinerziehend, kein einfaches Leben hat.
Ich habe 2011 die Patenschaft für Radhika Tamang übernommen, die mit ihren Eltern in Naldum lebt. Eigentlich wollte ich sie schon im April 2011 nach der Tour auf den Mera Peak (6461m) besuchen, aber an dem einzigen Reservetag, den ich in Kathmandu verbrachte, gab es einen Streik und kein Auto durfte fahren. So hoffte ich, dass es dieses Jahr, nach der Expedition auf den Himlung (7126m), mit einem Besuch klappen würde. Die Expeditionen sind meist zeitlich sehr knapp kalkuliert und Reservetage gibt es am Berg, aber nicht für den Aufenthalt in Kathmandu. Zum Glück lief die Gipfelbesteigung sehr gut; wir hatten Glück mit dem Wetter und die Hälfte der Gruppe kam oben an. So konnten wir einen Tag früher als geplant nach Kathmandu zurückkehren und ich habe Bharat gleich angerufen, sobald es den ersten Handyempfang auf der Annapurnarunde gab. Wie verabredet holte er mich am Samstag, 3.11.2012, am Hotel ab und wir fuhren aus Kathmandu raus und über eine holperige Bergstraße Richtung Nagarkot. Auf einer Anhöhe stiegen wir aus, von hier gab es einen phantastischen Blick auf die schneebedeckten Berge des Langtang Massivs, davor die bewirtschafteten Terrassenfelder, auf denen z.B. Hirse, Reis und Kartoffeln angebaut werden. Von der Straße stiegen wir über schmale Pfade hinunter zu Radhikas Haus. Gut, dass ich die Trekkingschuhe angezogen hatte, guter Halt der Sohle und Trittsicherheit waren wirklich erforderlich. Für Bharat und den nepalesischen Begleiter, der uns begleitete, war das normales Terrain, über das sie mit einer enormen Leichtigkeit spazierten. Dennoch passieren auch den Dorfbewohnern immer Unfälle; Bharat erzählte davon, dass sich immer wieder Menschen den Arm oder das Bein brechen auf diesen Wegen, besonders bei Nässe oder Dunkelheit.
Bald kamen wir bei Radhikas Haus an, ihre Mutter war daheim und Ranjeeta, die kleinere Schwester. Vor dem Haus weideten Wasserbüffel und mehrere Ziegen. Bharat erklärte, dass die Tiere anderen Grundbesitzern gehören. Die Familie, die sich um die Tiere kümmert, muss die Hälfte des Ertrages an die Grundbesitzer abführen. Viel bleibt da nicht mehr übrig. Der Empfang ist freundlich. Die Familie wurde kurz vorher darüber informiert, dass die Patentante kommt, da wurde sogleich saubergemacht und aufgeräumt. Ich durfte das Haus inspizieren – normalerweise bin ich da vorsichtig, da es ja Privatsphäre ist. Bharat sagte jedoch, dass das auch mein Heim sei. Ich wurde durch das karge Haus geführt; im Erdgeschoss war die Feuerstelle. Über eine Holzstiege ging es in den ersten Stock, wo ein schlichtes Bett stand. Der „Kleiderschrank“ besteht aus einer Wäscheleine, auf dem die Kleider säuberlich aufgehängt waren. Über eine weitere Stiege war der Dachboden erreichbar, auf dem ein weiteres Bett stand und wo Maiskolben und Knoblauchzehen gelagert wurden. Die Tiere wohnen in anderen Häusern oft auch im selben Haus wie die Menschen, hier gab es aber einen separaten Stall. Da kam auch schon Radhika, sie war beim Spielen weiter unten im Tal. Sie ist ein aufgeschlossenes strahlendes Mädchen und sie spricht ein wenig Englisch, was „das Eis bricht“. Es gab auch gleich einen Fototermin und sie führte mich nochmals im Haus herum. Vor dem Haus wurden wir dann offiziell nepalesisch begrüßt mit hübschen Blumenketten und einem roten Tikka.
Uns wurde Tee serviert und ich überreichte meine Geschenke, ein Federmäppchen und eine Dose Dänische Kekse für Radhika. Bharat meinte, dass die nepalesischen Kinder mit diesen Geschenken irgendetwas machen, z.B. es verkaufen oder verschenken. Das bleibt Radhika überlassen, ich hoffe natürlich, dass sie es in der Schule verwenden wird. Sie ist derzeit in der 5. Klasse in einer Schule, in der Tamang, die Sprache ihrer Volksgruppe, gesprochen wird. Unterrichtet wird auf Nepali, jedoch fällt es Radhika als Tamang wohl nicht so leicht, Nepali zu schreiben. Das ist aber enorm wichtig, um auf eine weiterführende Schule zu gehen oder eine Ausbildung zu machen. So ist das immer ein Konflikt mit der Gewohnheit und mit Traditionen. Ich wünsche Radhika jedenfalls, dass sie erfolgreich die Schule abschließen wird. Sie hat ihren Eltern etwas voraus: sie besucht eine Schule!